Abschrift des Interviews Adam Mazur mit Heinz Cibulka

Es gibt keine Regeln, wie das Bild zu lesen ist


Heinz Cibulka, jesusche_02a, digital collage, 1998

Adam Mazur: Wann haben Sie sich entschieden, Fotokünstler zu werden?

Heinz Cibulka: Meine erste ernstzunehmende Arbeit mit Fotografie hatte ich um 1970 begonnen. Unter dem Titel „Stammensdorf- Essen und Trinken...“ habe ich eine Arbeit als Installation in mehreren medialen Disziplinen realisiert. Einerseits waren zirka 50 Fotos im Raum als fotografisches Fries montiert, andererseits sind aber auch akustische, literarische und performative Elemente im Konzept dieser Arbeit gleichzeitig wirksam gewesen. Von dieser Zeit an habe ich fotografische Aspekte in meiner Arbeit forciert.

Also was haben Sie gemacht zwischen 1961, als Sie Ihre Studium an der Graphischen Lehr-Versuchsanstalt abgeschlossen hatten, und 1970, als sie begonnen hatten, mehr und mehr mit Fotografie zu arbeiten?

Ursprünglich hatte ich nicht gedacht, Fotografie zu meinem Haupt-Medium als künstlerisches Ausdrucksmittel zu wählen. Ich wollte eigentlich Maler werden. Meine Nähe zu den Aktionisten, vor allem zu Schwarzkogler und Nitsch drängte mich, selber performative Konzepte zu entwickeln. Aktionismus bedeutete damals unter anderem auch eine Art Abkehr von klassischen Disziplinen wie z.B. dem Tafelbild. Im Weiteren entwickelten die „Wiener Aktionisten“ eine neue Form des Theaters, welches im Sinne der Idee von einem Gesamtkunstwerk mit realen Gegebenheiten operierte und nicht mit Rollentypen als Sprech-Spieltheater funktionierte. Malerische Aspekte waren bei den Aktionen eher als Relikte oder als Begleiterscheinungen ihrer theatralischen Aktionen im Raum entstanden. Später entwickelte Nitsch neben seinen immer breiter ausladenden großen Aktionen auch kleinere Aktionen, wie z.B. sogenannte Malaktionen, welche u.a. das Malen im Raum zum theatralischen Inhalt machten, sowie die bildhaften Ergebnisse als Relikte und als Bilder im herkömmlichen Sinn stehen ließen.

Fotografie war als Medium der Bewerbung performativer Projekte und Aktionen gefragt, niemand aus diesem Kreis der Künstler dachte aber damals an eine Selbstständigkeit der Fotografie, als gleichwertiges Medium der Kunst. Das wurde eher dem Film zugetraut. Aber gerade die Wiener Aktionisten setzten mit ihren Strategien auf die Qualität der unmittelbar sinnlich erlebten Aussage.

Sie haben die Aktionisten während oder nach der Graphischen getroffen?

Mein Schulzeit an der Graphischen dauerte von 1957 bis 1961. Erst Anfang 1965 habe ich die erste Aktion miterlebt. Das war eine Aktion von Otto Muehl, die sogenannte Luftballonaktion. Etwas später habe ich auf Einladung der Künstler bei Aktionen von Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler mitgearbeitet.

Machten Sie wirklich keine Fotos während der Schulzeit und während der Aktionismusepisode?

In dieser Zeit hatte ich keine Fotos gemacht, weder als Dokumentation von Aktionen, noch für eigene künstlerische Anliegen. Es war damals so, dass bei den Aktionen meistens genug Fotografen anwesend waren. Dafür gab es genug Leute, aber als Modell wollte niemand so gerne mitmachen. Für mich ergab diese Mitarbeit eine Gelegenheit, diesen damals sehr interessanten Künstlern näher zu kommen, und dabei zu lernen. Ich hatte diese Phase als einen nachschulischen Entwicklungsprozess aufgefasst, als eine Erweiterung meines Wissens nach dem Studium an der Graphischen.

Nach dem Studium hatten Sie noch kein sichtbares persönliches, wie auch kein Profil als Künstler. Die Mitarbeit bei den Aktionisten war eine Art Beginn ihrer künstlerischen Karriere - für eine junge und völlig unbekannte Person?

Wenn man so will, kann man meine frühe Zusammenarbeit bei Aktionen von Schwarzkogler und Nitsch auch als einen Beginn meiner Künstlerkarriere sehen. Meistens halfen sich die Künstler untereinander, sowie auch ihre Frauen bei den Aktionen als passive und aktive Akteure. Es gab Aktionen, wo zum Beispiel Nitsch, Brus und ich Modelle bei einer Aktion von Nitsch beteiligt waren. Unsere Körper waren als solche demonstrativ neben Tierkadavern im Ablauf der Aktion eingesetzt.

Ich hatte damals nicht für eigene künstlerische Konzepte oder zur Dokumentation von Aktionen fotografiert. Zu dieser Zeit hatte ich vieles probiert, im Bereich der Malerei, ich hatte geschrieben, gefilmt und auch Konzepte für Performances entwickelt. Aber Fotografie ist mir vorerst nicht als ein interessantes entwicklungsfähiges Medium erschienen. Ich habe zwar schon früher fotografiert, Fotografieren hatte mich als Medium für spielerisches Festhalten von visuellen Phänomenen angezogen, aber ich habe lange nicht daran glauben können, dass damit interessante künstlerische Konzepte realisiert werden könnten. Die dokumentarische Fotografie ist mir ebenso nicht als vollwertiges Medium erschienen. Es war mehr ein Zufall, dass ich als Quereinsteiger zur Fotografie gekommen bin.

In unserer Schule, der Graphischen hatte es unter anderem eine Abteilung für Grafik gegeben und eine für Fotografie. Die Unterrichtsstrukturen der Abteilung Grafik ließen viele Möglichkeiten auch für künstlerische Ambitionen offen. Die Ergebnisse der Klassen aus der Fotoabteilung sind mir damals im Vergleich dazu sehr klassisch und akademisch vorgekommen. Vorwiegend Schwarzweiß-Fotografie, die mir in für mich weniger interessanten Formalismen zu stecken schienen. Das war vielleicht ein Grund, warum ich damals in der Fotografie keine Perspektiven sehen konnte. Ich habe keine interessanten Vorbilder gekannt, da ich mich erst wesentlich später für die Geschichte der Fotografie interessierte. Im Gegensatz dazu faszinierten mich aufbrechende Visionen in künstlerischen Anliegen, die vor allem im Aktionismus zu spüren waren. Deshalb haben mich in dieser Zeit diese Arbeiten so sehr angezogen.

Gleichzeitig verfolgte ich aber auch als neugieriger Besucher des Österr. Filmmuseums in Wien historische wie zeitgenössische Kunst-Filme. Peter Kubelka war dabei ein wesentlicher Informant. Seine Filme wie seine Vorträge waren für meine spätere Entwicklung meiner eigenen Bildsprache in meinen Bildgedichten von Bedeutung.

Für mich ist der Wiener Aktionismus als Phänomen der Kunstgeschichte interessant, aber Sie waren Modell bei Schwarzkogler und Nitsch und erfuhren von innen her, was diese Konzepte leisteten. Wie können sie uns ihre damalige Einstellung und ihre Empfindungen aus dem Geschehen heraus heute erklären?

Ich war als Modell, und Künstlerfreund von Schwarzkogler und Nitsch mit den Ideen und Konzepten der Künstler vertraut gemacht. Das persönliche Verhältnis gab mir Sicherheit in Bezug auf meine Beteiligung bei Aktionen. Trotzdem war die Mitarbeit als Modell nicht immer angenehm, wenn zum Beispiel kalte Farbe oder Blut auf meinen Körper geschüttet wurde. Anfangs, bei den Aktionen nur für Fotografie in kleinem Kreis wurde manchmal gar kein Blut geschüttet, es wurde dafür auch schwarze Farbe eingesetzt, weil für schwarz–weiß-Fotografien kein Blut notwendig war. Später, als etwas mehr Geld zur Verfügung stand, wurde immer Blut verwendet. Farben waren dabei demonstrativ als solche eingesetzt.

Es war auch immer wieder körperlich unangenehm, wenn ich meinen nackten Körper den Handlungen in den Aktionen aussetzte. Mein Interesse an der Modelltätigkeit hatte aber nichts damit zu tun, dass ich als Quasimasochist die Nähe der Aktionisten und damit der Aktionen als eine Art Befriedigung gesucht hatte. Durch meine Leistungen als Modell in der frühen Phase des Aktionismus habe in verschiedener Weise profitiert. Ich habe aus vielen Gesprächen aus dem oft vorbildhaften Verhalten meiner Künstlerfreunde viele Dinge erfahren können, die mir damals noch unbekannt waren. Ich habe seitens meiner Freunde viele Hinweise auf bestimmte Literatur, wie überhaupt auf das Wesentliche aktueller Kunst erhalten. Ich habe meinen Körper für eine Sache eingesetzt, die es wert war, um damit meinen Horizont zu erweitern, und um einen Weg zu finden, selber Kunst zu machen. Natürlich hatte ich auch, wenn man so will, im Mittelpunkt einer dramatisch gesetzten Aktion Einblick bekommen, was die Aktion für eine Einzelperson leisten kann, bzw wie sich im Kollektiv bei so einer Veranstaltung karthatische Wirkung bilden kann. Nach vielen gemeinsam durchgestandenen Aktionen hat es danach Freudensfeste gegeben, bei welchen der Lohn für die Mühen mehrfach zurückkam.

Was ich in Ihrer Biografie interessant finde, ist diese Zeit mit den Aktionisten, Sie haben mit ihnen gearbeitet, aber selbst praktisch fast keine Kunst geschaffen.

Diese Zeit war für mich eine Phase der Aufnahme, der Entwicklung - es gibt zwar einige eigene Arbeiten aus dieser Zeit von mir, es gibt einige Fotos, es gibt ein wenig Malerei und vor allem habe ich immer geschrieben, aber all das waren Versuche in einer Zeit meiner Vorbereitung auf eine akzeptable eigene Form eines Daseins als Künstler.

Vielfach wird angenommen, dass ich von Anfang an die Aktionen meiner Kollegen fotografisch dokumentierte, aber ich hatte mit dem Dokumentieren der Aktionen von Hermann Nitsch erst 1979 begonnen. Von da an fotografierte ich immer wieder bei größeren Aktionen von Nitsch.

Ich kenne seine Anforderungen an die Bild-Medien, seine Arbeit nachvollziehbar zu präsentieren und habe dafür eine Art Fotografie entwickelt, die eine spätere Einsicht in das Werk Nitschs erleichtern kann.

Meine Erfahrungen mit Bedingungen und Abläufen von Aktionen durch meine frühe Mitarbeit bei Nitsch haben zu praktischen Überlegungen geführt, die mir beim Fotografieren der Aktionen wichtig erschienen: möglichst sachliche Auflistung der Objekte, Handlungen und sowie der räumlichen Gegebenheiten, bei Einnahme immer wieder gleicher perspektivischer Standpunkte. Mit dieser einerseits sachlichen Vorgangsweise und andrerseits meinem auf sinnliche Wahrnehmung geschulten Einfühlungsvermögen beim Fotografieren kann sich für späteres Interesse u.a. eine chronologische Lesbarkeit der Situationen und des Ablaufs der Aktion ergeben. Nicht zuletzt aber bewirkt die Bildregie über ein Auflisten von Fotografien hinaus, bei der Zusammenstellung der Fotografien eine poetische Verdichtung. Beim Sammeln fotografischer Details bleibt das einzelne Foto vorerst noch wertfrei, erst mit der erkennbaren Absicht, der Verwendung in einem Bedeutungsumfeld erhält das Foto als Zeichen einen Sinn. Nach dem Fotografieren ergibt sich ein Pool von Bildern, der für unterschiedliche Anforderungen nutzbar ist. Neben der chronologischen Lesbarkeit habe ich genug Material für bildsprachliche Aussagen, die sich über das Assoziationsvermögen und den Bilderschatz der Betrachter aufschlüsseln. Fotografische Dokumentationen zum Orgien Mysterien Theater von Hermann Nitsch nehmen innerhalb meiner Arbeit eine Sonderstellung ein, da ich sonst, mit seltenen Ausnahmen, keine Dokumentationen zu künstlerischen Projekten mache, aus welchen, nach Wahl des Bestellers, einzelne Photos herausgenommen werden, die dann in mir unbekannten Bedeutungsverbänden genutzt werden können. Bei Nitsch mache ich eine Ausnahme, weil ich die Tendenz der Arbeit gut kenne und glaube, dafür einen passenden Arbeitsrahmen gefunden zu haben. In einem gewissen Sinn kann ein Theaterstück auch als Primärerlebnis gewertet werden, ein Darstellungsversuch mittels Fotografie, also ein künstlerischer Umsetzungsprozess, könnte deshalb ähnlich wie bei einer ungebundenen fotografischen Arbeit verlaufen.

Bei meinen Bildgedichten und digitalen Bildcollagen verlangt die kompositorische Arbeit aber genügend Möglichkeiten, Widersprüchen und absurden Faktoren Platz zu lassen. Eine Dokumentation mit selbst auferlegtem oder angenommenem Briefing (im Sinne einer bestimmten Absicht) verträgt selten ein neuerliches Einbetten in ein weiteres künstlerisches Konzept.

Geschichtlich gesehen lässt sich denken, dass jene Bildzeugnisse, die später einmal zu den wenigen Unterlagen von aktionistischen Theaterwerken gezählt werden, mit den übrigen Beschreibungen, Interpretationen, Relikten und Partituren zum eigentlichen Werk zusammenschmelzen werden.

Die offene Frage der Darstellbarkeit einer räumlich aufgeführten, alle Sinne beanspruchenden Aktion verweist auf die spätere potentielle Rezeption mit dem Wissen, bzw dem Gefühl für die Wirksamkeit synästhetischer Effekte. Es wird eine neue Form der Gleichzeitigkeit unterschiedlicher sinnlicher Eindrücke in einer nachschöpferischen Rezeption verlangt.

Die Bewertung künstlerischer Äußerungen wird in jeder Generation neu erfolgen. Dabei kann das geschichtlich aufzufassende Werk Einfluss auf zukünftige Anliegen haben - der ursprüngliche künstlerische Ansatz wird aber in der Neuformulierung eigener neuer Welten liegen.


Heinz Cibulka, Fotografische Arbeiten 1969-83
projekt o.m. theater von Hermann Nitsch

Heinz Cibulka, Fuelt - Most, 1969-83
Christian Brandstaetter Verlag & Edition, Wien, 1983

Heinz Cibulka, Weinviertel, 1969-83
Christian Brandstaetter Verlag & Edition, Wien, 1983

Die nächste Frage ist, was für ein Verhältnis besteht zwischen Ihrer sprachlichen Poesie und Ihre Fotografie, oder einfach zwischen Text und Bild?

Es gibt in meiner Arbeit unterschiedlichen Einsatz medialer Strukturen. Im Prinzip illustriere ich meine Bilder nicht mit Texten, und umgekehrt, die Bilder illustrieren nicht die Texte. Beim Einsatz mehrerer Medien ergibt sich eine Art gemeinsamen Laufes unterschiedlicher Linienführungen, in diesem Fall zweier verschiedener medialer Disziplinen. Ich verfolge ein ähnliches Ziel mit dem einen Medium, wie mit dem anderen. So komme ich von der einen Seite und mit dem einen Medium zum gleichen Thema, zur gleichen Vorstellung, wie mit dem anderen Medium. Das Ganze als „kammermusikalische oder symphonische Komposition“ muss zusammenpassen, ohne dass es sich im poetischen Sinn stört.

Sie ergänzen sich...

...oder im Idealfall lizitieren sie sich hoch.

Bild und Text müssen in einem formal sinnvollen Bezug stehen. Der Text darf nicht verbal interpretieren, was am Bild visuell aufzunehmen ist. Wenn ein Medium Diener des Anderen wird, so bedeutet das für mich noch keinen Mehrwert, keine Verdichtung. Haben aber Medien unabhängig voneinander freien Lauf und werden auf eine Komposition hin entwickelt, dann können sich diverse mediale Linien ergänzen und medienübergreifend verdichten.

Visuelle Poesie und digitale Collagen?

Ja, es gibt eine Arbeit, das Weinviertelfries. Das sind 16 Bilder, die als großes Fries gebaut wurden. Bei dieser Arbeit, die 32 Meter lang und 1 Meter hoch ein langes Bildband ergibt, habe ich in einer digitalen Collage Textzitate als Fragmente eingearbeitet. Den Text hatte ich 1975 zum gleichen Thema geschrieben. Es ist das kein erklärender Text – sondern eben eine weitere Information auf einer anderen sprachlichen Ebene. In dem Fries verwende ich eine Vielzahl von Bild-Informationen zu einer bestimmten Landschaft, zu einem Lebensraum. Diese Region im nördlich von Wien und nördlich der Donau, die sich östlich zur Grenze gegen die Slowakei und im Norden zu Tschechien hin streckt, endet im Westen bei den Erhebungen des Mannhartsberges, im Waldviertel. Die Region heißt Weinviertel, ich wohne seit vielen Jahren dort und habe mich immer wieder damit beschäftig. Natürlich könnte ich genau so gut hier bei Ihnen in Polen, in Asien oder Amerika wohnen, dann hätte ich wahrscheinlich dort in ähnlicher Art meine Untersuchungen betrieben und versucht, künstlerische Statements dazu anbringen.

Ein Problem entsteht, wenn das Gesamtbild mit dem Text in anderen Sprachräumen gelesen wird. Bildsprache braucht nicht übersetzt zu werden, der Text aber schon.

Ja, es ist sicher schwierig, den Text zu übersetzen. Er bezieht sich sehr stark auf sinnliche Qualitäten, die in dieser Region Bedeutung haben. Die Textzeilen stehen als einfache Reihungen da – und können wahrscheinlich wiederum nur über den Weg neu gefundener Dichtung in andere Sprachen gebracht werden. Jede dichterische Form entwickelt eine Melodie, beim Übersetzen bricht sich diese Melodie häufig.




Heinz Cibulka, Geschichtes Gedicht

Was ist der Grund, weshalb Sie so oft in Polen sind. Ich habe gehört, Sie arbeiten an einem Projekt in Polen?

Mein Großvater war Pole, meine Mutter kommt aus einem ehemaligen Grenzgebiet zwischen Polen und Deutschland. Damals war diese Region (G³ogówek in Oberschlesien ) gemischt polnisch- deutschsprachig, aber ein traditionell katholisches Land. Ich war als Kleinkind mit meiner Mutter oft dort und danach einige Male als Jugendlicher. Später träumte ich, auch einmal nach Warschau zu kommen, war aber immer nur bei meinen Verwandten in G³ogówek zu Besuch. Also es gibt da mütterlicherseits einen Bezug. Aber grundsätzlich habe ich meistens, wenn ich irgendwo im Ausland unterwegs war, dort versucht, auch zu fotografieren. Wenn dann von diesen Reisen genügend Fotos übrig geblieben waren, hatte ich meistens damit versucht, einen Bild-Zyklus zu entwickeln. In Polen hatte ich schon einmal begonnen, eine kleinere Bilderreihe aus meinen Fotos beim Reisen im Land herauszugeben. Ich hatte es aber immer als ein Manko empfunden, dass ich nie nach Warschau gekommen war, oder nach Krakau oder auch in die Hafenstädte im Norden des Landes.

Wann haben Sie damit begonnen?

In Wroclaw in der Stadtgalerie hatte ich vor ungefähr zehn Jahren gemeinsam mit Jana Wisniewsky eine Ausstellung gehabt, das war so der Anfang meiner Bemühungen in dieser Richtung. Bei einer Reise in ländlichen Regionen im westlichen Polen konnte ich eine handvoll Bilder mit nachhause nehmen. Damit gelangen mir 2- 3 Bilder in digitaler Collagentechnik. Seit meinen ersten Kontakten in Warschau und Poznan zu Pawel Lubowski und zu anderen Künstlern und Kunstvermittlern in Polen vor ungefähr 3 Jahren plane ich einen größeren digitalen Zyklus. Dazu gibt es schon einiges Material, aber noch nicht genug.

Alle Ihre Kontakte in Polen hatten Sie nach der Revolution 1989 gefunden?

Na ja, alle mit künstlerischem Interesse. Ich glaube ’91 oder ’92 war in Wroclaw eine Ausstellung in der Stadtgalerie und dann so ’97, ’98 habe ich da noch einmal fotografiert, aber eher auf dem Land, das war in einem kleinen Dorf nördlich von Wroclaw. Da habe ich gesehen, dass kann man nicht so stehen lassen, da muss ich mehr machen. Dazu muss ich einen städtischen Kontrapunkt finden. Ich möchte nächstes Jahr im Frühling, wenn alles wieder grün wird die großen Städte besuchen. Ich war bisher immer nur im Winter in Warschau, oder in einer Zeit, wo es dunkel und grau war, mich interessiert aber auch die grüne Seite dieses Landes.

Und Polen ist Teil eines geplanten digitalen Projektes?

Ja, ich mache jetzt nur noch bei der Leitung von Workshops Arbeiten mit analogen Bildern, aber bei meinen davon unabhängigen Arbeiten, bis auf Widerruf digitale Collagen oder eben auch noch Internetarbeiten, die in Zusammenarbeit mit anderen Künstlern entstehen.

Benutzen sie eine Digitalkamera?

Ja, seit 2 Jahren fast ausschließlich.

Jetzt ein wenig über etwas, was ich in ihrem Katalog gefunden habe. Ich denke, es würde für uns von Nutzen sein, über ihre Kunst im Allgemeinen und vor allem im Kontext der Österreichischen Kunst nachzudenken. Sie sagten, dass die Arbeiten, die sie in Polen zeigten, nur eine Auswahl war, die aber den Polen einen „Einblick ins Arbeitsklima Österreichischen Kunstschaffens“ gewähren sollte.

Arbeitsklima… Da meine ich eine gewisse Kultur von Bildproduktion, unter anderem von interaktiven Arbeiten. Die Arbeiten der österreichischen Künstler/innen, welche hier in Polen gezeigt worden sind, finde ich repräsentativ für eine bestimmte Generation von Künstlerinnen und Künstlern, die jetzt so ungefähr zwischen 40 und maximal 50 Jahre alt sind.

Ja, was ich aber gerne wissen würde ist, was ist so außergewöhnlich, so anders, so spezifisch an der österreichischen und auch an ihrer Kunst? Wie würden Sie das beschreiben? Ist es vielleicht Sigmund Freud und die Psychoanalyse…

Ich denke schon, dass wissenschaftliche Erkenntnisse und speziell die Schriften von Freud, Kafka, Mach und Trakl, wie auch bestimmte Werke österreichischer Künstler wie Klimt, Schiele, Schönberg, Webern, Kiesler auch heute noch Wirkung haben. Ich glaube auch, dass es diese traditionellen Linien in der österreichischen Kunst der Gegenwart oder besser, der letzten 30 Jahre gibt, man spürt sie bei bestimmten Künstlern und Künstlerinnen immer wieder. In einer meiner Kooperationen mit einem interessanten österreichischen Dichter und Kunsthistoriker (Hanno Millesi) wurde dieses Thema von uns in 4 digitalen Bildcollagen ausgebreitet (Geschichtes Gedicht).

Unter den vier Titeln: „Immerjetzt“ – „Ein nach innen gerichteter Blick auf die äußere Erscheinung“ – „Nicht der Traum, das Gespenst der Freiheit“ – „Der Versuch einer vernunftbegabten Herangehensweise“

versuchten wir österreichischer Künstler/innen und Wissenschaftler/innen der ersten Hälfte des 20-ten Jahrhunderts in Gruppen zu fassen. Das umfasst zwar nicht den letzten Stand der Kunst- und Kulturgeschichte Österreichs, aber typische Grundlinien dürften daraus zu lesen sein. (zu lesen unter: Bildgenerationen- Heinz Cibulka, Seite 28-33), die auch bis heute Gültigkeit haben. Wenn jetzt zum Beispiel die Arbeiten der Wiener Aktionisten in etwas größerer Breite international beachtet werden, dann bezieht sich das vorwiegend auf deren innovative Produktionen aus den frühen 60-er Jahren, also mehr als 40 Jahre nach den ersten Arbeiten dieser Künstler. Insofern ist unsere bilanzierende Betrachtung mittels der Arbeiten „Geschichtes Gedicht“, die ich oben angeführt habe, auch für unsere Zeit gültig und aktuell.

Wie würden Sie ihre Arbeit in diesem Kontext bezeichnen?

Mein Ansatz in Hinblick auf Vorbilder bedient sich meiner Meinung nach vorwiegend zweier unterschiedlicher Schienen. Die eine Schiene kommt zweifellos im letzten Impuls aus dem Bereich des frühen Aktionismus, die zweite aber aus meinem Interesse an filmischen Kunstwerken.

Also einerseits waren mir bestimmte künstlerische Absichten meiner Aktionisten-Freunde Vorbild. Auf der anderen Seite hatten mich die Strukturen des künstlerischen Films nachhaltig beeinflusst. (ich war aufmerksamer Besucher des Österreichischen Filmmuseums in Wien) Die Bildsprache meiner fotografischen Arbeiten zeigt diesen Einfluss deutlich.

Bestimmte Inhalte meiner frühen Bildgedichte sowie die Art der Gegenüberstellung diverser Motive in den Bildkomplexen wird auch gerne mit dem sinnlich radikalen Vortrag aktionistischer Bildinhalte in Verbindung gebracht.

Ich glaube, dass meine Arbeit, vor allem die Bildgedichte und Bildcollagen ein phänomenologisch orientiertes Bilder-Angebot für Rezipient/innen darstellen. Den Betrachtern dieser Bildkomplexe obliegt es, sich damit nachschöpferisch assoziierend ihr eigenes Bild zu formen.

Ich habe keine besonderen technischen Ambitionen, keine Vorliebe für konzeptuelle Reihungen, oder Ambitionen, serielle Konzepte zu entwickeln, es sei denn, sie münden wieder in poetisch gereihte Formensprache. Meine Arbeit ist nicht bloß gefühlsbetont lyrisch, sondern hat auch wahrnehmungstheoretisch reflektierend Aspekte.

Eine Art phänomenologisch orientierte, möglichst meinungsfreie Sicht auf Dinge und Situationen bildet den Grundstock jener Bilder, mit welchen ich später poetisch gestalten werde.

 


Heinz Cibulka, mex 01-12, digital collage, 1997/98

Heinz Cibulka, mex05, digital collage, 1998
Heinz Cibulka, mex07 & mex09, digitale collagen, 2002

 

Ich habe natürlich meine persönliche Meinung darüber und für mich ist es, da stimme ich überein, dass dieses Spannungsfeld zwischen Expressionismus, jenen Äußerungen, die in die Eingeweide gehen und den konzeptuellen, oder postkonzeptuellen Trends, zu spüren ist. Wenn ich aber über ihre oder andere Arbeiten oder die gegenwärtige österreichische Kunst nachdenke, ist es für mich– und das steht auch im Katalog – eine Artikulation von Dazwischensein. Nehmen wir so eine Zusammenstellung von vier Fotografien von Ihnen: sie macht einen kühlen Eindruck, ist auch ziemlich simpel, man könnte sagen, es ist eine gute konzeptuelle Arbeit. Auf der anderen Seite aber haben wir die visuelle Poesie, den lyrischen Aspekt.

Mich interessierte bei den Bildgedichten auch der konzeptuelle, aber noch viel mehr der poetische Einsatz fotografischer Strukturen innerhalb meiner Bildblöcke. Vier sich gegenüberstehende gleich große unbearbeitete 13/18 Maschinenprints bilden seit 1975 eine Art Erkennungsmarke meiner Arbeit.

Durch meine Einstellung zur Fotografie ist mir die technische Entwicklung hin zur digitalen Gestaltung am Computer entgegengekommen. Meine Offenheit anderen künstlerischen Disziplinen gegenüber hatte mich zu medienübergreifenden Experimenten und Projekten gebracht.

Einen Aspekt meiner Arbeit möchte ich besonders betonen, nämlich jenen, dass meine Arbeit nur über nachschöpferische Rezeption funktioniert. Das ist zwar im Prinzip bei jeder Arbeit, die auf Verdichtung setzt der Fall, aber bei meinen „Bildgedichten“ erlöst sich das Bildangebot erst in der interaktiven Rezeption.

Es gibt keine Regeln, wie das Bild zu lesen ist, sowie es keine Anleitung gibt, wie der poetische Bau mit diversen Bildern funktionieren kann. Vergleichbare Erfahrungen im Umgang mit Bildern ermöglichen den Beschauer/innen das Lesen meiner Bilder, wie auch eine nachschöpferische Imagination. Deshalb ist es oft nützlich, wenn in Bildmontagen eingesetzte Bilder auch weitgehend klar strukturiert und leicht zu erfassen sind. Die Bilder müssen visuell gelesen werden, und möglichst nicht verbal interpretiert werden. Eine intellektuell-verbale Analyse des Bildes stört die visuelle Aufnahmefähigkeit. Ein vorwiegend sprachlich interpretierender Zugang ist eher kontraproduktiv, leitet die Bildinterpretation in Felder der Bildbeschreibung. Visuelle Informationen werden von bestimmter Seite dem Hirn zugeleitet, sprachliche Interpretationen werden dabei sehr leicht zu einer Art Vormund visueller Informationen. Jedes Bild funktioniert erst in der nachschöpferischen Leistung des Betrachters. Erst, wenn der Beschauer selber poetische Leistung einbringt, erfüllt sich das Angebot der Bildkomplexe.

Genauso sehe ich die Arbeiten der Aktionisten. Auf der einen Seite sind sie visuell sehr aggressiv, aber wenn man die Bilder von geschlachteten Schweinen sieht, dann kann man auch sehen, dass sie sehr kühl, analytisch sind und diese Intension ist enorm, zwischen dem lyrischen und konzeptuellen Aspekt dieser Kunst. Wenn ich über Wien nachdenke und über diesen psychoanalytischen Aspekt (…) Atmosphäre.

Es ist nicht alleine ein gefühlsmäßiger, poetischer Vortrag in den Arbeit zu finden, fast immer bemerke ich eine Parallelität, eine sehr analytische und zugleich sehr kühle Betrachtungsweise.

Worüber ich erzählte, über dieses Dazwischensein, das passt wirklich zur Fotografie, zum Medium Fotografie. Fotografie (…) analysiert diesen Aspekt des Zusammentreffens von Analyse und…

Ja, es ist eine Art möglichst direkten Zugangs auf reale Situationen, oder auf Aspekte des Visuellen – ich versuche von Beginn an ohne formale Regeln vorzugehen. Ich sehe da eine Art „Montage von Wirklichkeiten…“ einen ganz einfachen Versuch einer Übertragung von Wirklichkeit - Realität soll als Assoziations- Chiffre gespeichert werden. Ich versuche spontan wie auch nach Plan möglichst viel Material zu sammeln, um dann aus diesem Material zu selektieren - und in einer gewissen Weise damit Bilder-Haikus herauszukristallisieren.

Ich habe in Ihrem Text auch Aussagen gefunden, sozusagen über die Grundbotschaft, die sie Ihren Arbeiten geben, diese Blöcke von vier Bildern… wie arbeiten Sie? Auf welche Weise setzen Sie diese Bilder zusammen? Ist es einfach ein Set von Schnappschüssen?

Man kann nicht so einfach sagen, dass eine Fotografie lediglich ein Schnappschuss war, der einen Zufall darstellt. Das Monumentale eines Fotos liegt vorwiegend in seinen ganzheitlichen Qualitäten, es zeigt neben dem jeweils absichtlich erfassten Objekt auch sein vorerst unbeachtetes Umfeld, seine Aura. Das fotografische Bild beschreibt oft über die menschlichen Möglichkeiten hinaus Sachverhalte, Strukturen und Konstellationen, die oft erst später gelesen werden können.

Der Versuch, solche Bilder und seine noch nicht gelesenen Geheimnisse poetisch zu vernetzen, ist ein Abenteuer mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, ein hypothetischer Gesang im Netz menschlicher Denk- und Gefühlswelten.

Vielleicht ist genau das die Denkweise der Kunstakademieprofessoren, wenn sie sagen, dass Schnappschüsse allein nicht ausreichten.

Für mich gilt die generelle Regel: ich strebe überhaupt keine „guten“ Einzelbilder an, die einem bestimmten klassischen Vorbild entsprechen . Meine „naturgegebene künstlerische Handschrift“ beim Fotografieren ist für mich zugleich auch eine Art Korsett, aus welchem ich mich immer wieder zu befreien versuche. Ich strebe möglichst viele unterschiedliche Bilder an. Am liebsten wäre mir, wenn ich zehn Köpfe zum Fotografieren hätte– nicht nur meinen. Ich will mich und meine beschränkten Möglichkeiten überspringen. Im Prinzip bin ich aber beim Fotografieren Diener meiner späteren Collagen und dabei muss ich möglichst vielfältiges Material einbringen, unterschiedliches Material, welches mir viele Möglichkeiten poetischer Kombinationen eröffnet.

Also strebe ich keinen speziellen Typus von Fotografie an, sondern bin daran interessiert, mit unterschiedlichen Einstellungen, und damit mit immer wieder variierter Sensibilität der Wirklichkeit entgegenzutreten. Einmal bin ich hellwach und gierig auf Bildersuche und sehe aus diesem Zustand heraus bestimmte Dinge in einem bestimmten Licht, dann bin ich vielleicht von einem Ereignis beeindruckt und sehe dieselben Dinge mit meinem veränderten Werkzeug der Wahrnehmung ganz anders . Einmal sehe ich das und das nächste Mal sehe ich jenes, was ich vorher nicht gesehen hatte. Auf diesem Weg kommen unterschiedliche Fotografien in meinen Bilder-Speicher. Kein Zustand beim Fotografieren war mir bisher aufgefallen, der es wert gewesen wäre, sich darauf zu spezialisieren. Alle zusammen sind mir willkommen und bieten mir jenes Bildmaterial, welches ich zum Komponieren brauche.

Ich habe natürlich einen gewissen fotografischen Instinkt, der mir beim Fotografieren nützlich sein wird.

Meine Einstellung zur Wirklichkeit, sowie zu meiner Position darin bestimmen aber wahrscheinlich die Richtung meiner Neugierde.


Heinz Cibulka, jesusche_01, digital collage, 1998

Alle verwendeten Fotos sind also von Ihnen gemacht?

Früher hatte ich fast nur mit meinen eigenen Bildern gearbeitet. Es gibt aber Arbeiten, bei welchen ich viele „Fremd- Fotos“ einbezogen habe. Ich habe aber auch gemeinsam mit Fotografen/innen in Gruppen an einem Projekt gearbeitet. Es gibt auch eine Arbeit, wo fast kein einziges Foto von mir dabei verwendet wurde. Es handelt sich dabei um die schon erwähnte digitale Bildcollage in 4 Bildern „Geschichtes Gedicht“. Aber auch in dem Zyklus „1 – 17 facts“ habe ich weitgehend mit Video-stills als Basis meiner variierten Bildkompositionen gearbeitet. Bei dieser Arbeit fand ich den Übergang von den analogen strengen Bildmontagen zu den digitalen Bildcollagen.

Und bei den 4-er Blöcken, den Bildgedichten?

Bei den ersten Bildgedichten hatte ich praktisch nie mit Bildern anderer Autorinnen oder Autoren gearbeitet. Ungefähr seit 1980 setzte ich fallweise in Bildgedichten solche Bilder in Zitatform ein.

Nur diese eine Collage ist ein Zitat, aber die anderen – zum Beispiel die aus Polen – das sind Ihre Bilder.

Von den polnischen Fotos verwendete ich nur meine eigenen in meinen Collagen. Meine Frau, Magdalena Frey plante und realisierte damals eigene Arbeiten zu dem Thema. Sie spendete bis dahin und auch nachher immer wieder Bilder zu meinen Bildgedichten und Bilderzyklen, wie auch später für meine digitalen Collagen. Sie ist Künstlerin und Fotografin und realisiert seit 1985 ihre Arbeiten.

Das ist sehr interessant, weil Ihre Arbeitsweise in Opposition zu der zum Beispiel Leitners steht, dessen Ziel es ist, ein ganzes System aus verschiedenen fotografischen Themen und Motiven zu erstellen.

Es gibt gerade in der Fotografie viele künstlerische Arbeiten, die sich in einem engeren Feld mit hoher Wiedererkennbarkeit bewegen. Insofern die Variationen interessant bleiben, wird sich eine Arbeit halten können. Es gibt aber auch so viele unterschiedliche Künstlertypen, deren Erscheinungsbild manchmal zum Werk dazugezählt wird.

Meine Arbeit spart meine Person als Figur und Meinungsträger weitgehend aus. Direkt in den Bildern ist nur schwer etwas davon zu sehen. Trotzdem trägt auch meine Arbeit Spuren meiner Biografie in sich. Vor allem aber versuche ich meine philosophische Haltung indirekt auszudrücken. Auch wenn ich Bilder von anderen Autoren/innen in meinen Bildkomplexen einsetze, sprechen diese für meine Anschauung. Ich versuche, das Typische meiner Arbeit in die Flexibilität und Intensität meiner Bildregie zu legen.

Also Sie fotografieren einfach und dann… wenn Sie zum Beispiel ein Detail fotografieren oder wenn sie gerade nicht an Ihre Arbeit denken, Sie machen einfach das Foto und dann sehen Sie…

Ich versuche das Anschauungsobjekt als Phänomen zu sehen, versuche es ohne seine vielleicht spezielle Bedeutung und Symbolik zu werten, versuche es als einen visuellen Baustein in mein Bilderarchiv aufzunehmen.

Vorerst plane ich kein Bild damit, ordne es nicht als einen Bildteil einer geplanten Bildkomposition zu.

Hier zum Beispiel, den Regenbogen - natürlich habe ich gewusst, ich will diesen farbigen Bogen unbedingt in einem Bild unterbringen. Es ist ja auch was Tolles, so einen riesigen Bogen am Himmel als Abdruck auf einem Foto zu haben - ein Foto ist so ein kleines Stück Papier.

Ich habe beim Fotografieren nicht gewusst, was ich damit machen werde. Meine Erfahrung in den vergangenen 30 Jahren hat mich allerdings eine Ahnung für wahrscheinliche Brauchbarkeit visueller Strukturen entwickeln lassen, sodass ich doch immer wieder mit Zuversicht bei der Sammlung von Bildmaterial vorgehen kann.

Ist es besser mit einer digitalen Kamera zu arbeiten?

In gewisser Weise ist es leicht, mit digitalen Kameras Bilder zu machen. Wenn sie dann am Computer weiterverarbeitet werden, müssen die Bilder nicht erst gescannt werden. Mit den kleineren und mittelgroßen mechanischen Kameras war das Fotografieren in Hinblick auf spontanes Erfassen von bewegten Motiven aber einfach. Wenn aus einer Bewegung heraus ein bestimmter Moment erfasst werden wollte, war ein rasches Auslösen mit diesen analogen Kameras leicht möglich. Mit vergleichbaren digitalen Kameras ist das nicht mehr so einfach. Diese digitalen Kameras sind bis zu einer gewissen Größe langsamer und schwerfälliger. Der Speicherprozess dauert oft lange. Im Vergleich dazu kann man mit analogen Kameras größere Serien spontaner Aufnahmen rasch hintereinander machen. Die neueren größeren digitalen Spiegelreflexkameras sind jetzt schon besser ausgestattet. Hier lassen sich auch schon kleinere Serien von Bildern rasch hintereinander aufnehmen. Diese Kameras sind aber immer noch teuer und schwer sind sie auch, speziell wenn man die Akkus noch mitschleppen muss.

Jetzt mache ich kaum noch analoge Fotos. Aber egal mit welcher Kamera, ich habe immer schon viele Aufnahmen für meine Zyklen benötigt und deshalb immer schon viel fotografiert.

Wenn ich zum Beispiel ein Foto von diesem Glas haben wollte - war es früher vielleicht noch wichtiger als jetzt, möglichst viele Aufnahmen vom gleichen Objekt zu machen. Bei den Bildgedichten im Viererblock war es auch notwendig, wie beim Filmen nur im Querformat aufzunehmen. Da ich nur vollformatige Maschinenprints ohne Bildbeschnitt verwendete, hatte ich immer auch den Ausschnitt beim Fotografieren bestimmen müssen. Ein späterer Ausschnitt wäre bei der Menge Fotos, die ich dafür gebraucht hatte, viel zu kostspielig gewesen.

Jetzt, bei den digitalen Collagen kann ich das Objekt und die Umgebung des Objektes verändern und kann beim Format flexibler sein. Umso mehr war es bei den analogen Bildern wichtig, was neben dem visuellen Hauptreiz noch im Ausschnitt am Foto dabei war, also die Aura, die Umgebung, der Raum, der Hintergrund als zusätzlicher Bildinhalt. Deshalb ist das Montieren analoger Fotos bei meinen Ansprüchen äußerst schwierig und braucht sehr viel Bildmaterial zur Auswahl.

Kommen wir noch mal zu dem Glas zurück. Wenn ich davon Fotos machen will, brauche ich mindestens 3 oder 5 Aufnahmen davon. Sonst wäre ich auf diese eine Aufnahme angewiesen, ich könnte also nur dieses Foto als Ganzes nehmen wie es geworden ist. Beim Zusammenstellen der Bildgedichte hätte ich dann nur diese eine Möglichkeit, so ein Motiv einzubeziehen. Deswegen gehe ich rund um das Objekt herum und nehme mir eine ganze Serie von Bildern von verschiedenen Blickpunkten.

Jetzt, mit der digitalen Arbeitsmethode habe ich zusätzlich noch andere Möglichkeiten. Was ich vorher nicht konnte, das Bild nach dem Fotografieren in sich zu verändern, hatte mir eine neue Qualität gebracht, die ich eben früher nicht hatte.

Der Prozess aber, das Zerlegen und Umformen der Bilder bedeutet zugleich einen teilweisen Verzicht auf bestimmte Bildinhalte. Also der Gewinn der einen Qualität wird zugleich zum Verlust einer anderen.

Die Qualität eines unbehandelten Fotos hat etwas Archaisches – man sieht es meistens erst später, diese Qualität kann ein unbehandeltes Foto so intensiv erscheinen lassen.

Sosehr das Foto nur einen flüchtigen Ausschnitt von Wirklichkeit andeutet, so hoch kann sein Informationswert für unser kollektives Gedächtnis werden.

Mir ist das erst so richtig bewusst geworden, nachdem ich aufgehört hatte, jedes Foto als Ganzes zu belassen, seit der Nutzung digitaler Kameras und der Weiterverarbeitung am Computer.

 

Heinz Cibulka, chinoiserie 07 & chinoiserie 09, digitale collagen, 2000

 

Sie sind fotografischer Autodidakt, niemand hat Sie gelehrt?

Als Quereinsteiger in der Fotografie wurde ich in der ersten Zeit von den „seriösen Fotografen“ nicht ernst genommen. Künstlerfreunde aus anderen Kunstsparten allerdings ermutigten mich in meinen Absichten als Künstler, der mit Fotografie gearbeitet hatte. In einem gewissen Sinn war ich am Anfang ein Amateur. Aber mit normalem Hausverstand wird sich jeder interessierte Künstler in angemessener Zeit Kenntnisse aneignen, die für seine Ansprüche genügen können. So war es auch bei mir.

Für künstlerische Anwendung ist auch ein bestimmtes Maß an Ausbildung nützlich. Wichtig ist aber, dass ein jeweiliger experimenteller Ansatz und grundsätzliche Neugierde am schöpferischen Prozess dabei erhalten bleiben. Neben der Persönlichkeitsbildung halte ich aber grundsätzliche Aufklärung zum Phänomen der Wahrnehmung für besonders wichtig. Unsere Gesellschaft ist viel zu wenig auf das Lesen von Bildern vorbereitet. Es sollten in den Elementarschulen die Fähigkeiten geschult werden, mediale Botschaften analysieren zu können, um einen höhere Rate medialen Alphabetismus zu erreichen.

Meine Fotografie will sich den Kriterien der rein praktischen Nutzbarkeit entwinden. Ich kann zwar auch ein „gutes gelungenes Foto“ brauchen, aber es ist für mich kein Maßstab für den Einsatz in meinen poetisch angelegten Bildkomplexen. Es muss nicht ein ideales, ein scharfes oder ein sonst wie gemachtes Foto sein, es sollte nur innerhalb meiner Bilder seinen Platz finden. Aber dazu braucht es keine bestimmte Eigenschaft. Ich kann auch aus dem Buch heraus zeigen: die sogenannten schlechten Bilder sind oft ganz wichtig in den Kombinationen, weil sie jene Qualitäten bringen, auf die sonst selten verwiesen wird. „Schlechte Bilder“ werden meistens weggeworfen. Es gibt auch künstlerische Konzepte mit solchen „Abfallbildern“ oder sogenannten unbrauchbaren Bildern.

Fotografieren bedeutet ein Auswählen von unendlichen Möglichkeiten registrierbarer visueller Reize.

Das was ich fotografiere, zeigt zugleich, dass ich viele andere Möglichkeiten nicht nutzen kann. Also beschreiben meine Bilder eine Art Filter meiner Möglichkeiten. Dieser Filter, der durch meine partielle Unfähigkeit entsteht, wird positiv ausgelegt, als persönliche Handschrift gewertet. Je weniger leicht so eine Handschrift zu erkennen ist, desto umfassender müssen also die genutzten Möglichkeiten gewesen sein.

Es ist sehr schwer vorstellbar: Sie möchten ein Foto machen und wissen nicht, wofür Sie es verwenden wollen. Um diese Bildkombinationen oder Collagen zu machen, müssen Sie an alle diese Bilder denken, die Sie vorher gemacht hatten.

Es ist so. Ich habe ja, wenn ich fotografiere, selber noch kein Konzept der Gestaltung, das hebe ich mir für den Prozess danach auf. Dafür brauche ich Zeit, um mich darauf konzentrieren zu können.

Um jene Bildgedichte machen zu können, muss ich mir eine Gelegenheit schaffen, möglichst viele Bilder in der Fläche liegend sehen zu können. Dafür habe ich mir im Raum Tische aufgestellt. Hier lege ich mir jene vorher gesammelten Fotos auf, um sie für meine Suche beim Bilderkombinieren bereit zu haben.

Danach bereite ich mir mitten in den eng aneinander gelegten Bildern weiße Kartons vor, welche die Viererkombinationen ermöglichen sollen. Ich beginne immer zugleich mit mehreren Bildunterlagen, um mir mit unterschiedlichen Motiven mehrere unterschiedliche Bildkonstellationen beginnen zu können. Zuerst suche ich mir nach einem Plan oder nach Gefühl sogenannte Favoriten aus dem Bilderpool. Das sind die ersten Fotos, die auch oft in den Bildern den Ton angeben. Das ist aber nicht immer so. Nach gefundenen zweiten Fotos oder auch dritten, kann durchaus das jeweilige erste wieder weichen müssen. Da es keine Regel eines logischen Bildaufbaus gibt, da die jeweiligen Bildkomplexe Eigenleben entwickeln, gibt es kein fixes Ziel, welches bestimmte Bildinhalte oder sonstige Kriterien voraussetzt.

Der Bildentstehungsprozess ist vielleicht vergleichbar mit einem Gärprozess, der Bildkomplex beginnt zu arbeiten. Da kann es passieren, dass ein starkes Bild, das als erstes eingesetzt war, durch ein anderes, ein für diese Bildkonstellation vielleicht geeigneteres, ersetzt wird. Die als erste gesetzten Bilder können gut oder interessant sein, aber wenn sie sich mit anderen Bildenergien nicht vertragen, oder spießen, können sie eben auch entfernt werden.

Nach ungefähr zwei bis drei Wochen intensiver Arbeit an den Bildgedichten mache ich meistens Pause. Etwas später sehe ich mir die Ergebnisse wieder an. Dabei gehe ich noch einmal alles durch und kann mit etwas Abstand zum Prozess der Gestaltung den Zyklus abschließen.

Der Gestaltungs- und Entstehungsprozess bei den digitalen Collagen beginnt ähnlich wie bei den Bildgedichten mit analogen Fotos. Die Archivierung und spätere Registrierung der Einzelbilder, wie die weitere Gestaltung der Bildcollagen benötigt aber einen grundsätzlich anderen Weg als bei den analogen Bildmontagen.

Schon die Organisation der Einzelbild-Archivierung für eine optimale Abrufbarkeit hat sich grundlegend verändert. Die Bilder sind nun nicht mehr haptisch einsehbar gelagert. Zur visuellen Lesbarkeit am Monitor ist auch eine zusätzliche schriftliche Kennung notwendig. Die schriftliche Kennung bildet eine Eselsbrücke zu meinem visuellen Gedächtnis der Bilder.

Am Beginn meiner Arbeit an einem Zyklus schreibe ich mir aus dem digitalen Bildarchiv eine Art handschriftliches Manuskript mit besonderen Hinweisen und erweiterten Bemerkungen zu bestimmten Bildern. Meistens zeigen diese Manuskripte mittels erkennbar Markierungen gewisse Vorlieben und favorisierte Motive.

Zu diesen favorisierten Bildern suche ich mir, ähnlich wie bei den analogen Bildgedichten zweite und weitere Einzelbilder, die ich in digitaler Manier in einer größeren Collage zusammenbringen will. So entstehen Bildkomplexe in Schichten über- und nebeneinander. Auch hier arbeite ich gleichzeitig an mehreren Bildbauten, um mich nicht an einem Bild zu verkrampfen.

Abschrift des Interviews Adam Mazur mit Heinz Cibulka, Warschau, November 2002
Änderungen, = schriftsprachliche Verbesserungen und Ergänzungen durch Cibulka, Oktober 2003.


Heinz Cibulka, mex01, digital collage, 2002

 

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